Filmbeschrieb Stimme des Abends

Der Dokumentarfilm «Stimme des Abends» spielt in einer wegen Corona nach aussen verschlossenen Altersresidenz. Die Spazierfahrten reichen nur noch bis in den heiminternen Garten, die blühenden Blumen wecken Erinnerungen – wie es wohl daheim aussieht?
Margarete schreibt tief in ihren Rollstuhl gebeugt Briefe an ihre Enkelin, an Freunde und Familie und in ihrem Tagebuch verarbeitet sie die zu Herzen gehenden Fragen und Beschwerden der letzten Etappe ihres Lebens. Obwohl man weiss, dass man sterben wird, soll auch dieser Lebensabschnitt noch eine Qualität in sich bergen – dies das tiefe Anliegen von Mathias, dem Heimleiter.
Doch wieso haben wir Angst vor dem Tod und kennen wir die Bedürfnisse der Menschen im hohen Lebensalter? Gelebte Erfahrungen werden als Ressourcen für unsere Gesellschaft in die Welt getragen und so werden die Menschen im Film Hoffnungsträger im Besonderen in dieser vom Abstand geprägten Zeit.

«Stimme des Abends» – eine poetische Hommage für Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt und für alle, die ihnen ein Leben in Würde ermöglichen.

Stimme des Abends
Kurzdokumentarfilm, 20 Minuten
Regie: Michelle Brun
Musik: Arianna Savall, Petter Udland Johansen
Produktion: trailblazing GmbH, Veronika Müller Mäder und Jürg Mäder
Originalsprache: Schweizerdeutsch, Deutsch
Untertitel: deutsch, englisch

Flyer Stimme des Abends (PDF)

Hintergrund
April 2020, die Welt steht still. Man hält Abstand. Türen werden geschlossen. Vulnerable Gruppen werden geschützt. Besonders betroffen: die betagten Menschen in den Alters- und Pflegeheimen. Und die Angehörigen. Das Leben und das Sterben findet abgeschirmt von der Öffentlichkeit, von der Pandemie, statt.
Wie ist es nach einem wirkungsreichen Leben in Selbstständigkeit und Eigenständigkeit, nun abgeschottet von der Aussenwelt, in der Obhut eines Pflege- oder Altersheims zu leben. Wie ist es in dieser Situation Pflegende zu sein? Leiter der Institution? In der Küche, in der Reinigung, im Hausdienst, im Sekretariat zu arbeiten? Wie ist es für die Verwandten, die nicht mehr auf Besuch kommen können? Wie für die BewohnerInnen, die Angehörigen nicht mehr sehen zu können?

Zwölf Tage, rund um das Familienfest Ostern, begeben sich Veronika Müller Mäder und Jürg Mäder in die Selbstisolation in ein Pflegeheim im St.Galler Rheintal. Offen, was ihnen begegnen, was aus den gesammelten Antworten und dem Material entstehen wird. Mit dabei Film- und Fotokamera und ein Audioaufnahmegerät.

Zahlreiche Gespräche zu allen Tages- und Nachtzeiten mit den MitarbeiterInnen, gemeinsame Essen und Gartenspaziergänge mit den BewohnerInnen, gezielte Interviews mit der Leitung und der ganz persönliche Prozess als Angehörige einer Bewohnerin, die sich in diesen Tagen dem Sterbeprozess öffnet, führen zu einem Ganzen, das neue Fragen aufwirft. Was hat das Leben geprägt? Was hält? Was gibt Sinn? Was ist ein Leben im Alter noch wert?

Mit einfachster technischer Ausrüstung tauchen Jürg Mäder und Veronika Müller Mäder in den Alltag des Pflegeheims ein. Corona verliert an zentraler Bedeutung, gerät in den Hintergrund. Der Mensch mit seinen Fragen, Ängsten und Gedanken gewinnt an Wichtigkeit. Die Schweizer Filmemacherin Michelle Brun hat in der Postproduktion den dramaturgischen Lead in Form von Schnitt und Regie übernommen und Interviews, Fotos, Filmaufnahmen sowie die zur Verfügung gestellten Briefe und Tagebuchaufzeichnungen einer Bewohnerin zu einem stimmungsvollen Ganzen verwoben.

Drehort Pflege und Hospiz im Werdenberg
Das Haus «Pflege und Hospiz im Werdenberg» zeichnet sich durch ein menschennahes und lebensbejahendes Konzept in Pflege und Sterbebegleitung aus. Antizyklisch zur gegenwärtigen Weltlage wurden durch die Leitung Mathias Engler und Daniel Schmitter die Türen mit den vorgängig nötigen gesundheitlichen Sicherheitsvorkehrungen sofort geöffnet. Jürg Mäder und Veronika Müller Mäder erhielten Einblick in alle Pflegestationen und Arbeitsbereiche zu allen Tages und Nachtzeiten. Im Film ist die Institution als solche nicht erkennbar. Das Pflegeheim steht stellvertretende für all die unzähligen Institutionen, die sich mit grossem Engagement für das Wohl der alten und gebrechlichen Menschen einsetzen und tagtäglich ihr Bestes geben, die Zeit im Pflegeheim für die Bewohnerinnen und Bewohner bedürfnisgerecht zu gestalten und ihnen grösstmögliche Lebensqualität zu ermöglichen.

Die Filmemacher

Regie und Schnitt
Michelle Brun (1978) ist freie Filmemacherin und Initiatorin der Bildungsinitiative «Filasez» in Winterthur. Sie studierte an der ESCAC in Barcelona, wo sie sich auf Dokumentarfilm Regie spezialisierte. Seit 2006 entstanden unter anderem eigene Dokumentarfilme wie «Water Runs Deep», «Tales Wander» und «Mare Nostrum – Ein Konzert. Eine Reise.». 2014 initiierte sie den Aufbau der Filmklasse «Tele Vivante» für Kinder und Jugendliche an der Scuola Vivante und leitete diese erfolgreich.

Ihre Werke sind geprägt von grossem Respekt, von Menschenliebe, Musikfreude und Innovationskraft. Ihre filmische Intuition vermag die Protagonisten so in Szene zu setzen, dass die Lebensauschnitte berühren, zu Diskussionen anregen und ermutigen.

Michelle Brun ist Mutter zweier Kinder. Sie verbindet ihre Berufsfelder der Filmemacherin, Unternehmerin, Initiatorin und Mutter auf engagierte, ruhige Art.

Musik
Die Sopranistin Arianna Savall, 1972 als Tochter einer katalanischen Musikerfamilie in Basel geboren, spielt seit ihrer Kindheit Harfe und komponiert. Ihre Stücke bergen einen musikalischen Radius immenser Grösse. Der reicht von Alter Musik und zeitgenössischer Musik, über Weltmusik, Experimenteller Musik bis zu Barockoper und Jazz. 2009 gründete sie mit ihrem Partner, Petter Udland Johansen, Hirundo Maris, das auf alte Musik und eigene musikalische Kreationen spezialisiert ist. Für den Film «Stimme des Abends» stellte Arianna Savall verschiedene Musikstücke aus ihrem Repertoire zu Verfügung. Zusammen mit Petter Udland Johansen komponierte und interpretierte sie das Schlusslied, das Gedicht von Rainer Maria Rilke «Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen».

Hi ha un remolí ( Bella Terra, Alia Vox)
Aurora ( Peiwoh, Alia Vox)
Liebes-Lied ( Peiwoh, Alia Vox)
Halling ( Hirundo Maris, ECM Records)
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, Text von Rainer Maria Rilke

Produktion und Kamera
Veronika Müller Mäder (1963) und Jürg Mäder (1964) sind seit mehr als 30 Jahren gemeinsam in der Verbindung von Reisen-Pädagogik-Ausdruck-Kultur als Paar unterwegs. Unter dem Verein Scuola Vivante haben sie verschiedene Initiativen in den Bereichen Pädagogik, Kunst und Artenvielfalt initiiert und diesen zur Umsetzung verholfen. In diesem Rahmen kam es zur Zusammenarbeit mit den Regisseuren Michelle Brun und Stefan Haupt, mit denen sie den mehrfach international ausgezeichneten und an verschiedenen Filmfestivals und TV Stationen ausgestrahlten Film «Mare Nostrum – Ein Konzert. Eine Reise.» produzierten (www.marenostrum-film.ch.) Anfangs 2020 haben Veronika Müller Mäder und Jürg Mäder den Verein Scuola Vivante nach 28 Jahren wirkungsvoller Arbeit in neue Hände übergeben und die Firma «trailblazing GmbH» gegründet.